Drum prüfe, wer sich ewig bindet
Auf Baustellen kommt eine große Bandbreite an Mauersteinen zum Einsatz. Sie unterscheiden sich in der Materialität, Struktur, Geometrie, Dichte und Druckfestigkeit. Eine generelle Verankerungslösung existiert nicht. Der Vielzahl unterschiedlicher Mauersteinvarianten steht eine begrenzte Auswahl an Kunststoffdübeln und Metall-Injektionsankern gegenüber. Ist für die jeweilige Befestigungssituation keine spezifische Verankerungslösung vorhanden, muss durch Versuche auf der Baustelle herausgefunden werden, mit welchen Dübeln eine zulassungskonforme Bemessung und Montage möglich ist. Im Interview erklärt Dr. Jürgen Küenzlen, Projektleiter bei der Adolf Würth GmbH & Co. KG, Mitglied im Arbeitskreis Versuche am Bauwerk des DIBt und Mitautor der Publikation „(Dübel-) Versuche am Bauwerk in Mauerwerk“, warum Dübelversuche wichtig sind und worauf dabei zu achten ist.
Herr Dr. Küenzlen, was macht Heft 4 der DAfM Schriftenreihe zu einem unverzichtbaren Nachschlagewerk für Bauingenieure und Planer?
Dr. Jürgen Küenzlen: Es bietet Antworten für die Baupraxis auf Fragestellungen zu aktuellen technischen Regelungen des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt). Anhand von drei umfangreichen Beispielen wird erläutert, wie man Dübelversuche auf der Baustelle plant, durchführt und auswertet. Das macht die Publikation zu einer praxistauglichen Arbeitshilfe für alle, die sich im Bereich des Mauerwerksbaus mit moderner Dübeltechnik beschäftigen.
Warum ist es so schwierig, den richtigen Dübel zu finden?
Dr. Jürgen Küenzlen: Das ist deshalb so schwierig, weil der Dübel sowohl zum Untergrund, zur Anwendung und zur jeweiligen Last, die in den Untergrund geleitet werden soll, passen muss. Passen das gewählte Dübelsystem und der vorhandene Untergrund nicht zusammen, ist die Traglast eingeschränkt und im schlimmsten Fall überhaupt nicht vorhanden.
Wenn es keinen Dübel gibt, der zum vorgefundenen Untergrund und der speziellen Befestigungssituation passt, ist man auf das Trial-and-Error-Prinzip angewiesen?
Dr. Jürgen Küenzlen: Ja, könnte man im Prinzip sagen. Genau dafür stehen die umfangreich erläuterten Verfahren zu den Versuchen auf der Baustelle zur Verfügung. Beim sogenannten Abnahmeversuch setzt man zum Beispiel „Probedübel“ und testet, ob die gewünschte Last getragen wird. Eine weitere Möglichkeit ist der Auszugstest. Dabei werden Dübel so lange belastet, bis sie versagen. Dieser Versagenswert bildet dann die Grundlage für die statische Berechnung der Befestigung.
Wie funktioniert der Auszugstest genau und wie errechnet sich die Last, mit der ich den Dübel später tatsächlich belasten kann?
Dr. Jürgen Küenzlen: Ein spezielles Dübel-Prüfgerät wird über den Dübel angesetzt. Um exakte Werte zu erhalten ist es wichtig, dass senkrecht zum Mauerwerk gezogen wird. Mit einer Spindel wird eine Zugkraft erzeugt, die langsam gesteigert wird. Wenn sich der Dübel lockert oder sogar der Mauerstein bricht, ist die maximale Belastung erreicht. Dieser Messvorgang wird mindestens fünf Mal wiederholt. Das vorhandene Regelwerk bietet dann vereinfachte oder statistische Auswerteverfahren wie aus den Auszugs-, Probe oder Abnahmelasten unter Berücksichtigung von Sicherheitsbeiwerten die Last ermittelt wird, die tatsächlich bei der Bemessung für die Befestigung angesetzt werden darf. Denn, und das ist ganz wichtig, Versuchslasten sind keine Bemessungslasten und auch keine zulässigen Lasten!
Könnte man sich die zeitintensiven Versuche am Bauwerk nicht sparen und gleich Injektionsanker verwenden, die eine höhere Lastaufnahme bei nahezu allen Untergründen ermöglichen?
Dr. Jürgen Küenzlen: Prinzipiell könnte man das denken. Das Kernproblem besteht aber sowohl bei den Injektionsankern für Mauerwerk als auch für Kunststoffdübel: Die Vielzahl der Mauersteine auf den Baustellen ist einfach zu groß, als dass die Hersteller von Dübeln ihre Produkte in all diesen Steinen im Rahmen eines Zulassungsverfahrens für den jeweiligen Dübel prüfen könnten. So stehen in den Zulassungen für Injektionsanker in Mauerwerk und für Kunststoffdübel immer nur die charakteristischen Lasten für die Verankerung in einer Auswahl von gängigen Mauersteinen zur Verfügung. Das zeigt, dass die Dübel grundsätzlich in diesen „Referenzsteinen“ funktionieren und bestimmte Lasten tragen können. Diese „Referenzsteine“ sind dann eine Grundlage für die Versuche am Bauwerk, da sie häufig auf der Baustelle auf andere Mauersteine treffen werden als auf die, die in der Dübel-Zulassung stehen.
Zu den Injektionsankern sei noch ergänzt, dass diese deutlich teurer und aufwendiger zu verarbeiten sind als Kunststoffdübel. Da diese sogenannten chemischen Dübel aus mehreren Komponenten bestehen, erfolgt das Setzen in mehreren Arbeitsschritten. Bevor Injektionsanker belastet werden können, müssen sie aushärten, bei niedrigen Temperaturen sogar mehrere Stunden. Injektionsanker muss man jedoch immer zur Verankerung von Vordächern oder Markisen verwenden. Für Anwendungen wie vorgehängte hinterlüftete Fassaden reichen dagegen in der Regel kostengünstigere und leichter zu verarbeitende Kunststoffdübel.
Zusammenfassend kann man sagen, dass es für Befestigungen in Mauerwerk kein allgemein anzuwendendes Patenrezept gibt; es wird in vielen Fällen eine individuelle Lösung der Befestigungsaufgabe benötigt, die von unterschiedlichen Faktoren abhängt. Versuche am Bauwerk, durchgeführt nach den beiden neuen Technischen Regeln des DIBt, sind eine wesentliche Grundlage dafür. Das Heft 4 der Schriftenreihe des Deutschen Ausschusses für Mauerwerk e.V. (DAfM) erläutert diese Regeln und beschreibt deren praktische Anwendung, weshalb es sicherlich ein unverzichtbares Nachschlagewerk für Bauingenieure und Planer ist.
Die Publikation „(Dübel-) Versuche am Bauwerk in Mauerwerk | Aktuelle Regelungen für Kunststoffdübel und Metall-Injektionsanker zur Verankerung im Mauerwerk“ kann ab sofort zum Preis von 59 € beim Verlag Ernst & Sohn bestellt werden.